In memoriam Karl Walter Diess

* 25. Januar 1928 in Salzburg; † 30. März 2014 in Frankfurt am Main

Mit 86 Jahren starb der bekannte Schauspieler Karl Walter Diess an den Folgen einer schweren Lungenentzündung in Frankfurt am Main.


Beginnen wir mit einer Aussage von ihm, die für all das steht, was er mit dem Beruf verbunden hat:


„Für mich waren die Proben immer das Wichtigste, das Suchen, das Erarbeiten, das Erkennen und Finden eines Charakters, der dann ein Teil von mir wurde, der Ich war am Abend. Die Wahrhaftigkeit der Darstellung zu erlangen ist das Größte. Das Verbeugen nach der Vorstellung war für mich immer schrecklich, den Applaus zu hören ist Anerkennung genug!“

 

Wenn man von Karl Walter Diess spricht, ist das immer mit Anerkennung gepaart – für sein Können, seine Qualität, aber auch seine Bescheidenheit und Zurückhaltung. Und trotz seiner breiten Bekanntheit durch das Fernsehen: Der rote Teppich war für ihn nie ein Thema, hochkarätige Einladungen hat er abgesagt, den Small Talk nicht beherrscht und Auftritte dieser Art auch abgelehnt. Im Grunde war er ein stiller, leiser und nachdenklicher Mensch. Geboren am 25. Januar 1928 in Salzburg wuchs er vaterlos auf, wurde als 16-jähriger noch als Flakhelfer eingezogen und wirkte nach Kriegsende und vor dem Abitur bereits in der Theatergruppe eines Jesuitenpaters mit. Dort wurde er zum ersten mal mit Dichtung und Wahrheit konfrontiert und es entdeckte ihn der Schauspieler Karl Klingler, der auch als Lehrer am Mozarteum wirkte und ihn dort unter seine Fittiche nahm.

 

Doch schon während der Schauspielausbildung wurde er aufgrund seiner außergewöhnlichen Stimme von Prof. Hermann Aicher ans Salzburger Marionetten-Theater verpflichtet und machte als Sprecher der Marionetten bereits ab 1948 die ersten Gastspielreisen der Truppe ins europäische Ausland mit. 1951 ging er nach Wien und avancierte durch etliche Gastspiele an den damals bekannten Kellerbühnen zur Gruppe der österreichischen Avantgarde-Schauspieler. Hier entdeckte ihn der prominente Theateragent Alois Starka an der „Tribüne“ und vermittelte ihm, nach einem Gastspiel mit Hans Moser an der Josefstadt, ein Vorsprechen bei Heinz Hilpert am Deutschen Theater in Göttingen. Hier begann die Theater-Karriere von Karl Walter Diess, der oft die ersten sechs Jahre in Göttingen als seine „schönste Theaterzeit“ bezeichnete, und er fand in dem meisterhaften Intendanten und Regisseur Hilpert seinen Mentor und väterlichen Freund. Bis 1960 spielte er alle grossen Rollen seines Alters, darunter einen bundesweit gerühmten Hamlet. Trotz der engen Bindung an Hilpert wechselte er 1960 ans Residenztheater in München, dem er zwölf Jahre als festes Ensemble- Mitglied angehörte, wo er weiterhin in den grossen Rollen der Weltliteratur zu sehen war und 1965 aufgrund seiner Leistungen zum „Staatsschauspieler“ ernannt wurde.

 

1955 und 1959 hatte er schon einen Krimi und den Jascha im „Kirschgarten“ für das Fernsehen gemacht, richtig los ging die TV-Karriere von Diess aber in der Münchner Zeit. Ab 1961 spielte er in Verfilmungen wie „Dantons Tod“, „Der Trojanische Krieg findet nicht statt“, „Epitaph für einen König“, „Bismarck“, „Freiherr von der Trenck“, „Der Fall Liebknecht-Luxemburg“, „Trotzki“, „Maria Stuart“ oder „Wallenstein“. Und es kamen die hochkarätigen Fernsehspiele und vor allem Kriminalfilme und Serien wie „Der Kommissar“, „Der Alte“, „Derrick“ und die Serien „Auf Achse“, „Eine Frau wird gejagt“ oder „Die Schwarzwaldklinik“, um nur einige Produktionen zu nennen. Diess stand in über 90 TV-Produktionen vor der Kamera, arbeitete mit Regisseuren wir Umgelter, Rolf von Sydow, Tom Toelle, Franz Peter Wirth, Dieter Wedel oder Helmut Ashley und drehte für das Kino drei Simmel-Verfilmungen und den hochbeachteten Film „Fabrik der Offiziere“, wo als Hauptmann Feders sogar Hollywood interessierte. Und natürlich arbeitete er mit seiner so  besonderen sonoren Stimme auch viel für den Funk, wirkte in fast 200  Hörproduktionen mit und wurde ein Dauersprecher für Europa-Kassetten wie „Drei  Freunde“ „Enid Blyton“ oder „TKKG“. Auch im Synchron war Diess tätig und sprach für Larry Hagman, Gene Kelly, Christopher Plummer oder Roger Moore.

 

Doch die eigentliche Liebe von Karl Walter Diess gehörte dem Theaterberuf, den er als „schweres-schönes Handwerk, was beherrscht sein und immer klappen muss – wie bei den Artisten am Trapez“ bezeichnete. Bei den Bad Hersfelder Festspielen  brillierte er u.a. als Hohenzollern, Wladimir oder Pastor Hale, wofür er mit dem Hersfeld Preis ausgezeichnet wurde, in Weilheim war er der Faust und bei den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel sah man ihn u.a. als Galilei, Nada, Zauberkönig, Kurat Benzer oder noch einmal in „Warten auf Godot“ als Estragon, dem Abschiedswunsch des Intendanten Hans Peter Doll. Eine glückliche und loyale Verbindung wurde auch die über 30 Jahre währende Zusammenarbeit mit Joachim Landgraf und seinem Tourneetheater. Die Arbeit war geprägt von Achtung, Toleranz und künstlerischem Anspruch von beiden Seiten und Diess spielte ab 1975 in anspruchsvollen Produktionen prägende Rollen. Oft in mehreren Wiederholungstourneen war er u.a. der Prinz von Wales in „Kean“, der Oppenheimer, der Helmut Halm in „Ein fliehendes Pferd“, er spielte in „Endspurt“, war der „Schöne Toni“ in dem selten gespielten gleichnamigen Stück von Joshua Sobol, das Alter Ego von Arthur Miller in „Harry Peters Verbindungen“ und der Reginald in „Quartetto“ von Ronald Harwood, der letzten Produktion für sein  verehrtes Tournee-Theater, dem er jahrelang einzig die Treue hielt. 2007 bemerkte er erste Probleme mit dem Textlernen in den Proben zu „Eine Bank in der Sonne“ am Frankfurter Fritz-Rémond-Theater und bat um Entlassung aus dem Vertrag. Es folgte die Absage für die Heppenheimer Festspiele und „Sonny Boys“, zwei weitere Gastspiele und eine TV-Serie, er hatte noch für knapp drei Jahre Verträge und wollte sich danach sowieso zur Ruhe setzen.

 

KW, wie ihn seine Freunde nannten, nahm die Diagnose „beginnender Alzheimer“ gelassen hin und zog sich konsequent aus dem Beruf zurück. Vadim Glowna holte ihn noch für einen „Siska“ vor die Kamera, doch auch das machte ihm keine Freude mehr. Er besprach noch ein paar Hörkassetten und gab einige Lesungen, doch er sagte: „Ich habe wunderbare Rollen gespielt und bin zufrieden – und irgendwann muss man aufhören können!“ Er fand Zeit zum Lesen und Spazierengehen und genoss seine Freunde in Frankfurt und Salzburg. Er wusste, dass 2014 sein Schicksalsjahr werden würde, sprach viel vom Tod und war sich in den klaren Momenten der Krankheit bewusst über seinen Zustand. „Meine Hauptbeschäftigung ist jetzt das Vergessen!“ Er starb am 30. März nach einer kurz zuvor diagnostizierten Lungenentzündung zu Hause in Frankfurt, wo er die letzten zehn Jahre seine Heimat hatte. Mit ihm hat eine weitere grosse Schauspieler- Persönlichkeit die Weltbühne verlassen...